Maria
- 3 years ago
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Titel: Maria
Autor(in): 'Maria' bzw. 'Katrin Elisabeth'
Copyright (c) (abgekupfert von Debbie Sanderson):
"Feel free to pass it around, archive it, repost it...
Please don't alter it, or charge for it.
Thanks."
Auf Deutsch (quasi woertlich uebersetzt):
"Nimm dir die Freiheit und reiche die Geschichte herum,
speichere sie, schicke sie weiter ... Bitte aendere sie aber nicht,
und verlange fuer sie auch kein Geld.
Danke."
Maria
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Heute ist der 18.08.2000. Meine Eltern schlugen mir mal vor, als Tagebuch
von nun an den Computer zu verwenden. Ob das auf Dauer die
Idealloesung sein wird, das bezweifle ich eigentlich schon jetzt. Sicher, so
Spielchen wie PGP und so, die sind eigentlich ganz nett. Jedenfalls sicherer
als das kleine Vorhaengeschloesschen meines Tagebuchs. Das oeffne ich
naemlich seit einiger Zeit mit einer Bueroklammer.
Da sitze ich jetzt vor einem laermenden Kasten und tippe auf den Tasten
herum. Irgendwie nicht so ganz toll. Wenn ich da an meine bisherigen
Tagebucheintragungen denke ... . Meistens habe ich die im Bett
geschrieben. Frueher sogar oft mit Taschenlampe, damit meine Eltern
nichts merkten, wenn sie an meinem Zimmer vorbeigingen.
Im Prinzip ist der Computer gar nicht so uebel. Nur moechte ich eigentlich
ganz gern meine Gefuehle in mein Tagebuch schreiben. Und irgendwie
gelingt mir das nicht so recht, wenn ich da an einem Computer sitze. Da hat
man Emotionen die man gern zu Papier bringen wuerde, und dann sitzt
man vor einem grauen Kasten und die ganzen Empfindungen, die man
eigentlich niederschreiben wollte, sind weg.
Warum ich unbedingt ein elektronisches Tagebuch haben moechte? Nun,
das werdet Ihr wohl mit diesem jetzt in diesem Moment gelesenen Satz
begreifen. Ja, ich will mal einen Ausschnitt meines Lebens in die Welt
hinausschreien. Manchmal zerreisst es mich gefuehlsmaessig geradezu.
Manchmal war ich wie am Boden zerstoert, so dass meine Eltern mit mir
schon sehr bald bei Psychologen waren. Beim ersten Mal, da duerfte ich
gerade so in die Schule gekommen sein. Ich weiss noch, wie ich manchmal
mit meinem Vater in unserem neuen schwarzen Peugeot 205 abends
nachdem er von der Arbeit heimgekommen war im Winter zu dieser
Psychologin fuhr. Mama hatte schon immer dafuer gesorgt, dass ich
abfahrbereit war, wenn mein Papa heim kam. Im Auto war's dann
regelmaessig gemuetlich warm. Nur beim nach Hause fahren nach den
'Sitzungen', wie mein Vater die Therapiestunden immer nennt, da war's im
Auto immer ziemlich ungemuetlich. Die Scheiben liefen anfangs dauernd
an und der Ventilator machte ein Gespraech fast unmoeglich. Eigentlich
war ich froh darueber. Und muede war ich da auch immer.
Na ja, und dann gab's eben auch Momente in denen ich mich unheimlich
gluecklich fuehlte. Vielleicht waren auch das die Momente, die meine Eltern
dazu veranlassten, mit mir zu Psychologen zu gehen. Vielleicht liegt's aber
auch an meiner Schwester. Die Frage ist nur, in wie weit ist sie schuld, dass
sie nun seit dem 15.05.2000 eine 2 Jahre juengere Schwester hat. Oder ist
mein Vater schuld? Er ist naemlich wie kein anderer in der Lage, meine
Gefuehlswelt zu verstehen . Was bin eigentlich ich? Jetzt gerade koennte ich
wieder lachen und weinen gleichzeitig. Mir kommen die Traenen, aber ich
bin eigentlich gar nicht traurig. Wenn ich mich im Spiegel so ansehe, dann
habe ich eigentlich keinen Horror vor dem was ich da sehe. Natuerlich habe
auch ich schon mal den Begriff 'Penisneid' gehoert. Und natuerlich auch das
Wort 'Kastrationsangst'! Ich hatte nie Angst davor. Ich fand das Zeug da
vorn eher laestig. Mit der Ausnahme des Pippi machens. Das war mit
Schwaenzchen ganz praktisch.
Ich weiss noch, ich habe mal erlebt, wie ein paar Schulfreunde ihre
Wasserschlaeuche miteinander verglichen haben. Ich hielt mich da raus.
Mir war das peinlich. Und deswegen haben die mich dann ausgelacht. Na
ja, die hatten manch andere Gruende auch noch.
Als ich so 6 etwa war, da wollten mich meine Eltern in Judo schicken.
Katrin, meine Schwester, ging da bereits seit ueber 2 Jahren ins Ballett. Ich
wollte auch ins Ballett. Aber die Psychologin meinte damals, ich solle mich
mehr mit Buben auseinandersetzen. Wenn ich mich zu sehr von ihnen
zurueckziehen wuerde, dann waere mein 'ungewoehnlicher
Kleidungswunsch' eine typische Flucht vor der mich erwartenden
Maennerwelt. Na und, und wenn's so gewesen waere? Was wuerde das
jetzt noch aendern? Ich waere gern in's Ballett gegangen. Inzwischen hat
Katrin mit Ballett aufgehoert. Sie findet's einfach zu kindisch. Fuer mich ist
das noch immer ein Traum. Aber leider ein Traum, der niemals mehr in
Erfuellung gehen kann. Ich bin einfach schon zu alt fuer's Anfangen.
Papa kann meinen Ballettwunsch nachvollziehen. Auch er waere immer
gern ins Ballett gegangen. Aber er durfte ebenfalls nicht. Es galt bei ihm zu
Hause als nicht maennlich genug. Und bei mir? So richtig laut geaeussert
habe ich meinen Wunsch eigentlich nur als ich so 6 etwa war. Aber da hat
ja diese Fachkraft von Psychologin gemeint, es waere besser, wenn ich ins
Judo ginge. Und meine Mutter, die ebenfalls irgend so ein Psychologie-
Studium hinter sich hat, die hat sich natuerlich voll hinter ihre sogenannte
Kollegin gestellt. Papa hatte da nichts zu melden. Aus Judo wurde
uebrigens nichts. Zwar war ich gelenkig und sportlich, doch waren mir die
Buben einerseits immer unheimlich, zu ordinaer, patzig und zu grob, und
andererseits hatte ich auch einfach keine Lust, mit jemandem zu raufen.
Beim Laufen war ich einer der schnellsten. Und das, obwohl so manche
groesser waren als ich. Beim Hochklettern von Stangen war ich ebenfalls
der schnellste. Und bei den Liegestuetzen war ich auch nicht schlecht.
Bodenturnen hat mir immer Spass gemacht. Ich bin gelenkig und meiner
Meinung nach in so manchem geschickter als die meisten Buben.
Mir faellt auf, ich vergleiche mich schon wieder mit Buben. Aber eigentlich
ja nicht unverstaendlich, war doch mein bisheriges GESAMTES Leben auf
ein spaeteres 'Mannsein' ausgerichtet. Das heisst, von nun an muss ich mich
nicht mehr an Buben messen. Nun endlich darf ich so sein wie's mir mein
Gefuehl sagt. Oder rede ich mir das jetzt bloss ein? Spreche ich jetzt
vielleicht nur das nach, was mir mein Vater seit Jahren vorpredigt? Aber er
weiss es ja nicht anders. Er kann sich ja eigentlich die Welt von Buben gar
nicht vorstellen. Nun, das zu sagen ist wohl unfair, war er doch schliesslich
auch mal ein Kind.
Ob ich's meinen Eltern irgendwann mal vorwerfe, dass sie quasi ueber
mich hinweg etwas ganz Entscheidendes fuer mich entschieden haben? Ich
weiss schon, Vater werden kann ich nicht mehr. Das aber wollte ich
eigentlich eh nie. Jetzt werden wohl andere wieder sagen: "Was heisst da
'nie'? Das Kind hat ja noch gar keine Ahnung von der Welt!" Wisst Ihr
was? Ich habe meiner Meinung nach wesentlich mehr Lebenserfahrung als
nahezu alle anderen Kinder meines Alters. Denn ich erlebe bzw. erlebte
mein bisheriges Leben doppelt intensiv, und das aus mehreren
Blickwinkeln.
Mein Papa ist selbstmordgefaehrdet. Allerdings geht's ihm momentan ganz
gut. Ob das vielleicht auch an mir liegt? Er hat vor mehreren Monaten mal
so was erwaehnt wie, "er lebe gefuehlsmaessig in mir mit". Damals habe
ich's noch nicht begriffen. Jetzt ist dieser Satz fuer mich irgendwie
fassbarer.
Ach ja, vor 14 Jahren hat Papa bei Mama was fuer ihn damals sehr
Entscheidendes durchgesetzt: Den Namen meiner Schwester hat Mama
festgelegt. Meine Vornamen hat Papa 'durchgeboxt': Klaus Maria
Einer seiner Lieblingsschauspieler ist Klaus Maria Brandauer. Das hat sich
noch immer nicht geaendert. Ja, auch mir gefaellt dieser Mann ganz gut.
Letztes Jahr sah ich einen James Bond Film bei dem er den Boesewicht
spielte. Da war er recht ueberzeugend. So richtig gefallen aber tun mir die
James Bond Filme alle nicht. Papa meint, das laege vielleicht daran, dass
ich mich mit keinem der Maenner in diesen teilweise gewaltsamen Filmen
identifizieren koenne. Kann schon sein, dass er da Recht hat.
Papa hat aber diese Vornamen nicht nur wegen seinem
Lieblingsschauspieler ausgewaehlt. Ihm war es wichtig, so sagte er mal,
dass ich auch einen weiblichen Vornamen haben wuerde.
Manche von Euch meinen vielleicht nun, dass das Ganze eine von Anfang
an geplante Sache meines Vaters war. Ich sehe das nicht so. Was er in
meinen Augen getan hat, das war ein mir Ermoeglichen von Alternativen.
Er hat sie damals nicht bekommen. Er scheint sehr darunter zu leiden. Und
auch fuer mich waren die letzten Jahre nicht durchwegs lustig. Sie waren
einerseits entsetzlich und andereseits so schoen, dass ich oft Tagtraeumen
nachhing. Wenn es so laeuft wie es von meinen Eltern geplant ist, dann
werden mir in der Zukunft die 'scheusslichen Phasen' erspart bleiben. Wie
es mal ist, wenn ich erwachsen bin? Keine Ahnung. Falls ich dann wirklich
mal einen Durchhaenger haben sollte, dann brauche ich mich bloss an
meine Kindheit und meine erste Jugendzeit erinnern, und schon werde ich
wieder ganz zufrieden sein. Wer weiss, ob mein Vater noch die Kraft haben
wird zu leben, wenn ich erst mal erwachsen bin. Weniger Kraft als er werde
ich jedenfalls mal nicht haben. Nicht einmal jetzt, wo sich ja wirklich mein
Leben, oder welches auch immer, extremer gar nicht veraendern koennte.
Aber ich vertraue einfach auf meine Eltern. Die werden's schon irgendwie
hinkriegen. Mein zweiter Vorname ist dafuer vermutlich ein ganz
gewaltiger Pluspunkt.
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xxx, 10.9.2000:
Eigentlich wollte ich ja erzaehlen, wie das Ganze zustande kam. Eine richtig
tolle Geschichte habe ich da geschrieben! Aber meinen Kritikern (=Eltern)
gefiel sie nicht. Zum einen nutzte ich wohl doch etwas zu sehr meine
Phantasie, und zum anderen nannte ich Namen und Orte. Die Theatralik,
wie mein Vater es schmunzelnd nannte, kam in der Tat nicht zu kurz. Ja,
ich gestehe es, ich habe total uebertrieben. ABER ES WAERE
WIRKLICH GUT ZUM LESEN GEWESEN!!!
Tatsache ist: Ich habe eigentlich von nichts eine Ahnung. Oder besser: Ich
habe von allem eine Ahnung, weiss aber nichts genau. (Das aber ist doch
wirklich die ideale Basis fuer das Erstellen einer tollen, abenteuerlichen,
spannenden B2G- Geschichte! :-)) )
Ich werde uebrigens meinem echten Tagebuch nicht untreu. Da starre ich
gerade auf so einen 17 Inch Monitor, auf so ein Geraet voller Technik,
Praezision - und LEBLOSIGKEIT. Natuerlich kann auch ein Tagebuch
keine Gefuehle aeussern. Auch das ist still und sagt kein Wort. Wie soll ich
das erklaeren? Ein Computer macht immer etwas Krach. Zumindest dieser
alte hier. Und der Bildschirm, er ist nicht anstaendig. Es kommt mir so vor,
als wuerde er mich ununterbrochen anstarren! Wenn ich da an mein kleines
Tagebuch denke, wie lieb und nett es neben mir liegt, ganz unschuldig und
geduldig. So lange, bis ich es begruesse, aufschlage, und mich mit ihm
meist per Bleistift (im Bett) unterhalte. Gegen mein Tagebuch hat selbst ein
1GHz-PC keine Chance :-).
Aus der Veroeffentlichung meiner Geschichte, so wie ich sie geplant habe,
wird nichts werden. Fuer einen Neuanfang habe ich keine Lust. Aber was
soll's?! Das eigentlich Entscheidende habe ich eh schon gesagt. Alles andere
waeren nur noch Ausschmueckungen. Ach, vielleicht sollte ich zum
Schluss noch erwaehnen, dass wir gerade unsere Zelte hier in Deutschland
abbrechen. Wir gehen in ein Nachbarland, dahin, wo ich ein neues und
sicherlich schoeneres Leben vor ein paar Monaten geschenkt bekommen
habe. Dahin, wo mein Vater seine Kindheit erlebt hat.
Wenn ich Angst habe, dann nicht weil ich in Zukunft das Maedchen sein
darf, das ich eigentlich immer war, sondern weil ich Angst habe, meinen
Papa zu frueh zu verlieren.
Maria
ENDE
Pansy
- 09.05.2021
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