Prolog
Eine Nebenstra?e f?hrte aus Hoyt, einer Kleinstadt in Kansas,
schnurgerade hinaus durch flaches Land nach Norden, bis sie an einer
Schranke an der Grenze zu einer Reservation versperrt wurde.
Etwa auf halber Strecke zwischen dieser Kleinstadt und der Reservation
stand auf einer Stra?enseite ein einsames Haus.
Es war ein ganz gew?hnliches, etwas ?lteres eingeschossiges
Einfamilienhaus. Es war dennoch nicht gerade klein, hatte eine
Doppelgarage und Veranda vor dem Eingang. Alles schien gepflegt und
sauber. Am Postkasten stand in roten, leicht lesbaren Buchstaben der
Name "M. WEBSTER".
Auf dem Grundst?ck hinter dem Haus spielte ein etwa zehnj?hriges
Zwillingspaar gegen ihren Vater Basketball. Die Zwillinge waren
langhaarig, trotzdem konnte man sie eher f?r Jungen als f?r M?dchen
halten.
"Verdammt, ausgerechnet jetzt", schimpfte der Vater, als sein Handy
pl?tzlich klingelte. Er warf den Ball zu einem der Kinder, und zog das
Handy aus einer Tasche.
W?hrend er dem Anrufer zuh?rte, wurde er immer ernster. Mit belegter
Stimme antwortete er dann: "Danke. Ich komme sofort."
Zu den Kindern gewandt sagte er dann: "Ich muss schnell noch mal los,
ein Notfall. Bis sp?ter also, und macht keinen Unsinn."
Er rannte zum Haus. Kurze Zeit sp?ter ?ffnete sich das Garagentor, ein
schwarzer Ford Explorer fuhr heraus und sauste in Richtung Hoyt davon.
"Dad und sein Labor", seufzte eines der Kinder. "Als wenn es seine
zweite Familie w?re."
"Genau Johnny," erwiderte das andere. "Hast du noch Lust zu spielen?"
"Nicht wirklich, Joanna. Lass uns reingehen. Mal sehen was im
Fernsehen kommt."
JOANNA MAULTE EIN WENIG HERUM, ABER GING MIT HINEIN. BESSER ALS ALLEIN
ZU SPIELEN WAR FERNSEHEN ALLEMAL.
Im gro?en Zentralbereich des Hauses gingen Foyer, Wohnzimmer,
Esszimmer und K?che ineinander ?ber, so dass man bereits so gut wie im
Wohnzimmer stand, wenn man das Haus zum Haupteingang betrat.
Die Zwillinge schnappten sich jeder einen Milchdrink aus dem
K?hlschrank, l?mmelten sich auf die Couch und schauten sich eine Serie
mit Meerjungfrauen an.
Als die Folge zu Ende war und sie beim Umschalten auf Nachrichten
kamen, sprang Joanna auf.
"WAS, SO SP?T SCHON? KOMM, JOHNNY, LASS UNS ABENDESSEN MACHEN."
"Okay, Joanna. Mom und Dad werden sich bestimmt freuen."
Sie gingen in den K?chenbereich, bereiteten so gut sie es mit ihren
zehn Jahren konnten ein Abendessen und deckten den Tisch.
Doch niemand kam.
"Wo bleiben sie nur?", fragte Joanna zweifelnd.
Pl?tzlich ?ffnete sich die Eingangst?r, und ihr Vater kam herein. Tief
betr?bt. Hinter ihm eine Frau in gl?nzender, eng anliegender Kleidung
unter ihrer Jacke. Ebenfalls tief traurig. Ihr verschmiertes Make-up
zeigte, dass sie vor kurzem noch geweint hatte.
"Dad, Tante Emily, was ist los?", fragte Joanna.
"Und wo ist Mom?" fragte John.
Emily ging zu den Kindern und nahm sie fest in die Arme. "Eure Mom
hatte einen sehr schweren Unfall," sagte sie. "Wir kommen gerade aus
dem Krankenhaus. Die ?rzte haben alles versucht, aber die Verletzungen
waren zu schlimm. Sie konnten sie nicht mehr retten."
Verzweifelt rissen sich die Kinder los. Tr?nen schossen ihnen in die
Augen.
"Es ist wahr," sagte ihr Vater mit Tr?nen in den Augen. "Sie haben
wirklich alles versucht, aber keiner konnte mehr irgend etwas f?r sie
tun."
Die Kinder warfen sich auf die Couch und lie?en ihrer Trauer freien
Lauf. Das konnte nicht sein! Ihre Mom konnte sie doch nicht allein
lassen!
Es war ein paar Wochen sp?ter, an einem tr?ben regnerischen Tag. Es
schien, als w?rde der Himmel ebenfalls ?ber den Verlust der Zwillinge
Tr?nen vergie?en.
Auf dem Friedhof im nahen Topeka standen alle Kollegen, Verwandten und
Freunde von Mary Webster, der Mutter der Zwillinge, um ihr Grab herum.
Die Zwillinge schmiegten sich eng an ihren Vater, als der Pastor mit
der Begr?bnisrede begann. "Wir stehen hier, um uns von Mary Webster zu
verabschieden, einer treu sorgenden Mutter und Ehefrau, einer lieben
Freundin..."
Hinter den Zwillingen, zu ihrem Entsetzen, fl?sterten zwei der
Trauerg?ste relativ laut miteinander: "Wei? man denn schon, wer sich
an ihren Bremsen zu schaffen gemacht hat?" - "Ja, hast du denn heute
die Zeitung nicht gelesen? Da stand drin, dass der Kerl endlich
geschnappt wurde."
Manipulierte Bremsen? Also wurde ihre Mutter get?tet? Wieso sollte
jemand ihr so etwas antun? Die Zwillinge klammerten sich enger an
ihren Vater. Emily und ihre Partnerin Myra, die neben ihnen standen,
legten jeweils tr?stend eine Hand auf eine Schulter der Kinder.
Nicht nur des Wetters wegen wurde das Begr?bnis zu einer Qual f?r die
Kinder und ihren Vater, aber auch f?r Emily, f?r die Mary nicht nur
Cousine sondern beinahe Schwester gewesen war. Emily war jedoch ?ber
ihrer Trauer froh, dass die Kinder nicht den Zustand ihrer Mutter
gesehen hatten, als sie verstorben war. So w?rden ihnen Alptr?ume
erspart bleiben.
Kaum auszuhalten war allerdings, als ein Teil der G?ste zwar "Mein
Beileid, Mike" zum Vater der Zwillinge sagten, aber die Kinder v?llig
ignorierten.
Die Familie war erleichtert als das Begr?bnis mitsamt den halb-
geheuchelten Beileidsbekundungen endlich vorbei war und man versuchen
konnte zum Alltag zur?ckzukehren.
DAS LOCH, DASS MARYS TOD IN DIE FAMILIE RISS, KONNTE NAT?RLICH NICHT
GESTOPFT WERDEN. EMILY UND MYRA VERSUCHTEN IHR BESTES, SICH NEBEN
IHRER KINDERARZT-PRAXIS NOCH UM IHRE ZWEI PATENKINDER ZU K?MMERN, ABER
IRGENDWANN HATTE AUCH EMILY GENUG. SIE KONNTE NICHT EINFACH DIE PRAXIS
DICHT MACHEN ODER AUF HAUSBESUCHE VERZICHTEN - UND EIN BISSCHEN
PRIVATLEBEN WOLLTEN SIE UND MYRA JA AUCH.
SIE SCHLUG DAHER MIKE VOR, SICH EINE FRAU ZU SUCHEN.
Dass er allerdings ausgerechnet seine Kollegin Clara, eine Cousine von
Mary und ihr, zur Frau nahm, gefiel ihr ganz und gar nicht. Auch die
Zwillinge waren nicht besonders davon angetan, jetzt eine Stiefmutter
zu haben. Klar, das doppelte Einkommen half gewiss gewaltig, aber
warum es ausgerechnet Clara sein musste, war Emily ein R?tsel.
Aber das Leben musste weiter gehen, auch ohne Mary.
KAPITEL 1: DIE MUTPROBE
" Johnny, schau dir mal diesen youTube-Link an :)" stand in der e-
Mail, die John gerade ?ffnete, als Joanna in sein Zimmer kam. Er
klickte auf den Link und sah ein Video, eine Diaschau aus Bildern von
Zwillingspaaren, unterlegt mit Cover-Versionen der Replacements-Titel
"Androgynous" und "I'll Be You".
Joanna lehnte sich an den Spiegel zwischen der Zimmert?r und der
Schiebet?r zum gemeinsam genutzten Bad, und beobachtete John.
Der sa? mit dem R?cken zu ihr im Schneidersitz auf seinem Stuhl.
Abgesehen von seinem tief im Nacken zusammengebundenen Haaren war er
ihr so ?hnlich, dass die beiden oft verwechselt wurden, wenn sie - wie
jetzt auch - die gleichen Sachen trugen.
Doch selbst von hinten konnte sie sehen, dass ihm das Video Unbehagen
bereitete - besonders mit diesem Titel im Hintergrund.
"ALSO WAS DENKST DU?", FRAGTE SIE GRINSEND, DIE MUSIK ?BERT?NEND.
Er schloss das Browserfenster kopfsch?ttelnd und drehte sich mit dem
Stuhl zu ihr um. "Das, was du damit andeutest, ist die bescheuertste
Idee, die du je hattest", sagte er. "Und das will was hei?en."
Das wollte tats?chlich etwas hei?en, denn von allen Streichen und
Dummheiten, die die Zwillinge bisher angestellt hatten, waren oft die
ausgefallensten auf dem Mist von Joanna gewachsen.
Joanna zuckte mit den Schultern, ihr hoch oben am Kopf angebrachter
Pferdeschwanz wippte dabei. "Warum?" fragte sie betont unschuldig. "Du
wei?t selbst, dass wir gleich aussehen, wenn unsere Haare offen sind.
Noch nicht einmal Dad kann uns dann auseinanderhalten. Und Clara,
okay, Mom", sie betonte das letzte Wort gelangweilt, "kennt uns
sowieso noch nicht gut genug."
"ABER DASS DU HIER ANDEUTEST, DASS ICH M?DCHENKLAMOTTEN ANZIEHEN SOLL,
UM SIE NOCH BESSER ZU VERSCHAUKELN? ICH MEINE, DAS IST M?DCHENZEUG,
UND ICH BIN EIN JUNGE!" BRAUSTE JOHN AUF.
"Klar bist du das, na und?" Sie fand ihre Idee selber total witzig.
"Aber selbst wenn wir so aussehen wie jetzt, werden wir ja oft genug
verwechselt. Also was ist so bl?d an meiner Idee?"
John dachte nach. "Ja, du hast ja recht - aber..." Er wirkte unsicher.
"... das geht schon ein bisschen weit, oder?"
Joanna grinste nur breiter. "Ach, du traust dich also nicht, es auch
nur auszuprobieren? Ich dachte du bist mutig."
Ihr Bruder wurde w?tend. "Na klar bin ich mutig! Was denkst du denn
von mir?"
Das beeindruckte Joanna kein bisschen. Das funktionierte mal wieder zu
gut, als w?rde sie mit dieser Andeutung einen Schalter umlegen, und
schon w?rde alle seine Bedenken ausgeschaltet sein. War es nicht auch
so, als er damals in der Grundschule vom Baum gesprungen war, weil sie
angedeutet hatte, dass er sich das nicht wagen w?rde?
Immer noch grinsend erwiderte sie: "Dann zeig es mir doch. FALLS du
dich traust." Sie entfernte ihr Haargummi und sch?ttelte ihren Kopf.
Ihr Haar fiel bis ?ber ihre Schultern herab.
John hatte genug. Seine Schwester schaffte es mit ihrer Art doch immer
wieder, dass er sich vor ihr beweisen musste. Er ging zu ihr und baute
sich zornig vor ihr auf. Sein Mund formte dabei das Wort "Biest!"
Mit einem Ruck ?ffnete er die Schiebet?r zum angrenzenden gemeinsamen
Bad und ging hinein, nicht ohne dabei absichtlich seine Schwester
"versehentlich" anzurempeln.
Als er an den Spiegeln vorbei kam, starrte er w?tend auf sein
Spiegelbild. Er hasste es, genauso auszusehen wie seine Schwester. Er
wusste zwar, dass er das leicht ?ndern k?nnte, indem er sein Haar kurz
schneiden lie?, aber das wollte er wiederum auch nicht. Er war der
Meinung, dass sein langes Haar ihm etwas Rebellisches gab. Stoppel
konnte jeder Trottel haben. Seine Schwester dagegen k?nnte sich ruhig
mal anders als er anziehen, fand er.
Er atmete tief durch, ballte kurz die F?uste und riss die Schiebet?r
zu Joannas Zimmer auf. Ihr w?rde er es zeigen, wie mutig er war.
John schaute sich abf?llig in Joannas Zimmer um, obwohl er es ebenso
kannte wie sie sein Zimmer. Seit Clara ihre Stiefmutter geworden war,
hatte sich dieser Raum zu einem richtigen M?dchenzimmer gewandelt:
viel pink, R?schen an Bettzeug, Kissen und Gardinen, ein Schminktisch
hatte seinen Weg hinein gefunden - das einzige was schon vorher da
gewesen war, waren die Landschaftsfotos und Starposter an den W?nden
und die Kerzen ?berall. Auch der mannshohe Spiegel zwischen den T?ren
war schon immer da, den Joanna mit einem goldenen Tribalmuster und
Blattgr?n dekoriert hatte. Er erinnerte sich, wie sie die beiden
gro?en runden Kissen davor damals gemeinsam angeschleppt und dort
hindrapiert hatten.
Er holte tief Luft und ?ffnete abrupt den Einbaukleiderschrank.
Beinahe w?re dabei die frischgewaschene Cheerleader-Uniform
heruntergefallen, die an einem Kleiderb?gel an einer der T?ren hing.
Brummelnd schaute er auf das Innere des Kleiderschrankes und
?berlegte, was er anziehen k?nnte, um in die Rolle seiner Schwester zu
schl?pfen.
"WAS DENKT SIE DENN VON MIR?" DACHTE ER LAUT. "BIN ICH EIN M?DCHEN,
ODER WAS? ABER ICH WERDE IHR ZEIGEN, DASS ICH MICH TRAUE."
Er ?berlegte sich, dass es zu wenig Mut erfordern w?rde, einfach nur
Jeans und Sweatshirts anzuziehen, selbst wenn sie anders geschnitten
waren und Muster darauf hatten. Er w?rde ihr zeigen, dass er richtig
Mut besa?, dass er es sich wagte, etwas anzuziehen, dass wirklich nur
M?dchen trugen - immerhin war es ja nur f?r diese kurze Mutprobe.
Einmal anziehen, kurz hin und her laufen und drehen, wieder zur?ck und
umziehen, fertig. Aber er w?rde es ihr zeigen.
Als er durch die Kleidung w?hlte, staunte er. Das meiste war weicher
als seine eigenen Sachen, selbst die T-shirts, die doch vom Stoff
genau so aussahen wie seine, auch wenn Farbe und Design anders war.
"Wow, ich h?tte nie gedacht dass sich das Zeug so anders anf?hlt,"
sagte er leise zu sich selbst.
Schlie?lich ?berwand er sich und warf eine Auswahl an Unterw?sche und
Outfits aufs Bett, die er anprobieren w?rde. Und er begann sich
auszuziehen.
W?hrenddessen schlich sich Joanna durch das Bad und schloss leise auf
dem R?ckweg in Johns Zimmer die T?ren, die ihr Bruder offengelassen
hatte. Sie h?tte ihn leicht heimlich beobachten k?nnen, aber sie
wollte sich die ?berraschung nicht verderben.
Auch wenn es ihr nicht gefiel, dass John in ihrer Kleidung herum
w?hlte: sie konnte sich die Schadenfreude nicht verkneifen bei dem
Gedanken, dass er sich jetzt selbst Kleidung heraussuchte. "Jungs sind
doch so berechenbar," dachte sie. "sie machen alles, nur um nicht als
feige dazustehen."
Sie setzte sich an den Computer und schaute sich auf ihrer mySpace-
Seite um, dann ging sie hinaus in den Vorraum zwischen den beiden
Zimmern und lauschte an der T?r zu ihrem Zimmer.
"VERDAMMT, WIE KRIEGT SIE DAS BLO? IMMER HIN," KLANG ES LEISE VON
INNEN. "ABER WAS SIE KANN, KANN ICH SCHON LANGE!"
Vor Schadenfreude leise kichernd kehrte sie zur?ck in Johns Zimmer.
Sie band ihre Haare tief unten im Nacken zusammen, so wie ihr Bruder
es immer tat, und setzte sich wieder an den Computer an seinem
Eckschreibtisch, um eine Geschichten-Webseite aufzurufen.
"Wir sind zu Hause, Kinder," kam Claras Stimme aus dem gro?en
Zentralbereich des Hauses.
Kurz darauf rief Mike "Ist jemand hier? John, Joanna, habt ihr euren
Spanisch-Kurs vergessen? Ihr m?sst gleich los!"
Leise fluchend stand John auf. Der Spanisch-Kurs? Dass sie noch den
Spanisch-Kurs hatten, damit hatte er nicht gerechnet. Und dass Joanna
es so geplant hatte, so viel Hinterlist traute er ihr nun doch nicht
zu.
Er schaute sich noch einmal im Spiegel an und seufzte. In seiner
Aufmachung w?rde ihn jetzt bestimmt jeder f?r seine Schwester halten.
Was allein das Flechten des Zopfes f?r Arbeit gemacht hatte! Aber er
hatte es geschafft, so unsinnig das ganze Unternehmen auch war.
Er trat in den Vorraum hinaus wo er auf seine Schwester traf, die noch
genauso in Cargohose und Sweatshirt gekleidet war wie er zuvor. Er
warf ihr einen w?tenden Blick zu. So in die ?ffentlichkeit zu gehen?
Wenn das schief ging und er ?rger bekam, war sie so was von erledigt!
Joanna hingegen hob beide Daumen, als sie ihren Bruder ansah, der
jetzt eher wie ihre Zwillingsschwester aussah. Sie war positiv
?berrascht: er hatte wirklich Geschick, was die Auswahl von Kleidung
betraf. Alles passte gut zusammen. Gut, den Zopf h?tte sie sogar in
Eile besser hinbekommen, aber f?r das erste Mal war es sehr gut. Sie
l?chelte ihn an, nicht auf die w?tenden Blitze achtend, die er aus den
Augen schleuderte.
Nahezu gleichzeitig antworteten sie "Wir sind fertig, Dad!"
Beide blickten sich an, Johns Zorn wich einem Grinsen: Mal wieder
hatten sie gleichzeitig gesprochen.
Sie nahmen ihre Jacken von der Garderobe und folgten ihrem Vater
hinaus.
Clara seufzte nur, als sie von den Zwillingen unbeachtet die ganzen
Einkaufst?ten in der K?che auspackte. Sie w?rde es schon erreichen,
dass sie als neue Mutter akzeptiert w?rde.
Sp?t in der Nacht sa? Joanna im Schneidersitz auf dem Bett und sah
leise fern. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte 10:30. Es war Johns
Bett auf dem sie sa?, und sie trug Johns Pyjama.
Ihr offenes Haar lie? sie trotzdem m?dchenhaft aussehen. Sie konnte
sich nun denken, warum John sich ungern mit ihr verwechseln lie?: die
?hnlichkeit zwischen beiden war einfach zu gro?. Niemand hatte den
Austausch bemerkt. Aber sie konnte sich nicht verkneifen, diesen Tag
voll auszukosten: ihr geh?rte dieses Bett heute Nacht - erst mit dem
Aufstehen w?rde der n?chste Tag beginnen.
LEISE ?FFNETE SICH DIE SCHIEBET?R ZUM BAD. JOHN KAM BARFU? HINDURCH
GESCHLICHEN, UND ER F?HLTE SICH SICHTLICH UNWOHL. DASS ER EINS VON
JOANNAS NACHTHEMDEN TRUG, UND DASS SEIN JETZT EBENFALLS OFFENES HAAR
IMMER NOCH SEHR WELLIG WAR VOM GEFLOCHTENEN ZOPF, LIE? IHN NICHT
GERADE WIE EIN JUNGE AUSSEHEN, IM GEGENTEIL. ER SAH JETZT NOCH
M?DCHENHAFTER AUS ALS SEINE SCHWESTER.
JOANNA MUSSTE UNWEIGERLICH GRINSEN, ALS SIE IHN SO SAH.
"SAG MAL, HAST DU DENN ?BERHAUPT KEINE PYJAMAS?" FRAGTE ER SO
BEIL?UFIG WIE M?GLICH.
JOANNAS GRINSEN WURDE BREITER. DIESE FRAGE MUSSTE JA KOMMEN. NUR GUT,
DASS IHR BRUDER ANSCHEINEND NICHT WEITER IN DEN TIEFEN DES
KLEIDERSCHRANKES GEW?HLT HATTE. EIN PAAR GEHEIMNISSE MUSSTE EIN
M?DCHEN JA HABEN.
"Klar, wenn du die in der Schmutzw?sche mitz?hlst, dann habe ich
welche," sagte sie.
Ihr Bruder lie? entt?uscht den Kopf h?ngen und murmelte nur: "Mist."
"Aber das Nachthemd da ist ganz nett, ich h?tte es auch ausgew?hlt,"
sagte Joanna l?chelnd. H?tte sie nat?rlich nicht, es war viel zu
niedlich f?r ihren gegenw?rtigen Geschmack. Und sie wollte unbedingt
wissen, wie John ?ber die Mutprobe dachte. Besonders begeistert sah er
ja jetzt nicht aus - oder sollte sie lieber "sie" sagen? Im Moment sah
er aber auch zu sehr wie ein M?dchen aus. Sie winkte ab und wechselte
das Thema. "Aber egal jetzt. Sag, war es wirklich so schrecklich?"
JOHN SETZTE SICH AN DEN SCHREIBTISCH UND SEUFZTE. "MEINE FRESSE, DIE
PANIK ZUERST. ICH DACHTE SCHON, DIE W?RDEN MICH JEDEN MOMENT ERTAPPEN.
NICHT NUR IM KURS, AUCH ALS ICH MIT CLARA, ICH MEINE, MIT MOM, GEKOCHT
HAB UND DAD HAT NACH DIR GERUFEN... UND ALS SIE UNS INS BETT GEBRACHT
HABEN, W?RE ICH DOCH FAST IN MEIN ZIMMER ABGEBOGEN ANSTATT IN DEINES."
JOANNA MUSSTE KICHERN. DIESER SCHLENKER VORHIN WAR ABER AUCH WIRKLICH
ZU LUSTIG GEWESEN. BEINAHE H?TTE SIE DA LOSGELACHT UND ALLES RISKIERT.
ALLERDINGS HATTE SIE SELBST NICHT AN DEN KURS GEDACHT GEHABT, SONST
H?TTE SIE DIESE AKTION JETZT ERST DURCHGEF?HRT. "ABER?"
"Aber ja, es war okay - und..." Der Junge im Nachthemd z?gerte und
wurde rot. "... und deine Klamotten f?hlen sich schon gut an. Ich
denke, wir k?nnen das ruhig ab und zu doch noch mal machen."
Nun musste Joanna wieder grinsen. "Also war meine Idee doch nicht so
bescheuert."
John verdrehte die Augen und antwortete gedehnt: "Na ja..."
"Na siehst du." Joanna griff nach der Fernbedienung, schaltete den
Fernseher aus und kroch in Johns Bett, um sich aufs Einschlafen
vorzubereiten.
John war sichtlich verbl?fft ?ber diese Selbstverst?ndlichkeit, mit
der sie sein Bett in Beschlag nahm. "Ey, was machst du da? Ich dachte,
wir w?rden jetzt zur?ck wechseln?"
JOANNA L?CHELTE ARGLOS: "DAS SIEHST DU DOCH, ICH LEGE MICH SCHLAFEN.
DU, JOANNA," SIE BETONTE DEN NAMEN BEWUSST, "WEI?T JA, WO DEIN BETT
IST. WIR WECHSELN MORGEN ZUR?CK. GUTE NACHT."
JOHN SEUFZTE UND GING KOPFSCH?TTELND DURCHS BADEZIMMER ZUR?CK. ER
SCHLOSS DIE T?R - GERADE RECHTZEITIG UM NICHT VON SEINEM VATER
ERWISCHT ZU WERDEN, DER NACH DEM RECHTEN SAH.
Kapitel 2: Vertauschte Rollen
Ein halbes Jahr sp?ter, an einem fast sonnigen Herbsttag, schaukelten
die Zwillinge unter einem alleinstehenden Baum im Grundst?ck hinter
ihrem Zuhause.
Anhand ihrem Outfit und ihrer Frisur konnte man sie jetzt eigentlich
leicht auseinanderhalten.
"DU HAST DOCH AUCH HEUTE DIE DISKUSSION ZWISCHEN DAD UND MOM MIT
ANGEH?RT?" FRAGTE DER JUNGE.
Das M?dchen antwortete: "Ja, sie will dass wir uns nicht mehr so
gleich anziehen."
"Und sie will dass du dir die Haare schneiden l?sst, Johnny - und nun
erz?hl mir dass du keine Lust hast weiterzumachen."
Mit dieser Erkl?rung wurde klar, dass die Zwillinge nicht die waren,
die sie jeweils zu sein schienen. Offensichtlich hatten sie mal wieder
ihre Identit?ten getauscht.
John erwiderte: "Ach, eigentlich macht es mir sogar langsam echt Spa?.
Obwohl wir es letztens fast vermasselt h?tten, als es auf einmal hie?,
es geht zum Schwimmen. Aber ich bin froh, dass Dad ihr gesagt hat,
dass meine Haare so lang bleiben k?nnen. Stell dir vor, du m?sstest
dir auch die Haare kurz schneiden lassen, nur damit wir so weiter
machen k?nnen."
Joanna lachte laut los. "Nein, blo? nicht. Ein kurzhaariges M?dchen
w?re ja viel schlimmer als ein langhaariger Junge. Und es w?rde
auffallen, wenn ich Per?cken kaufen w?rde."
Beide lachten, dann wurde John wieder ernst. "Und h?r auf, mich Johnny
zu nennen, wenn wir so vertauscht sind wie jetzt, Joanna. Ich hatte
echt Probleme, mir diesen bl?den Witz schnell genug auszudenken, als
du das beim letzten Mal gemacht hast."
Es war bei diesem letzten Mal auch tats?chlich knapp gewesen: in der
Schule hatte es einer der Lehrer mitgeh?rt und die beiden nat?rlich
sofort darauf angesprochen. John, der als Joanna verkleidet war, hatte
schnell gesagt, dass sie sich gegenseitig manchmal neckend mit dem
eigenen Namen anreden w?rden, was nat?rlich selten witzig w?re. Diese
Erkl?rung hatte den Lehrer zufrieden gestellt, jedoch hatte er ihnen
gesagt, sie sollten es in der Schule sein lassen.
"ICH WILL KEINEN ?RGER, WEI?T DU?", fuhr er fort. "WAS DENKST DU WAS
ICH DURCHMACHEN KANN, WENN HERAUSKOMMT, DASS ICH SCHON EINE WEILE ZUM
TEIL ALS M?DCHEN HERUMLAUFE? DA KANN ICH MIR GLEICH DEN STRICK
NEHMEN."
Das versetzte Joanna einen geh?rigen Schrecken. So etwas wollte sie
nat?rlich nicht. "Entschuldigung. Daran habe ich nie gedacht. Ich
werde vorsichtiger sein, versprochen."
Sie verlie?en die Schaukeln und wischten sich den Staub von ihren
Hosen. Betretene Stille machte sich breit zwischen ihnen.
Joanna r?usperte sich und druckste z?gernd: "?brigens, ..."
JOHN SCHAUTE SIE PR?FEND AN: "HM?"
"?hm..." Die Verlegenheit des als Junge verkleideten M?dchens war
leicht zu erkennen. Joanna schaute zu Boden, malte mit dem Schuh
Kreise auf den Boden und versuchte es zu vermeiden, John anzuschauen.
"Najaa..."
IHR ALS M?DCHEN VERKLEIDETER BRUDER WURDE UNGEDULDIG: "LOS, SAG
SCHON!"
Schlie?lich kam Joanna mit der Sprache heraus. "Naja, ich w?rde gern
mit Dad am Freitag zum Zelten fahren. Ich war noch nie mit ihm allein
zelten."
John war nicht besonders begeistert. "Aber das w?rde hei?en, dass ich
das ganze Wochenende du sein m?sste! Es ist Vater/Sohn- und
Mutter/Tochter- Wochenende, das wei?t du doch."
Diese Art Wochenenden, an denen der Vater mit dem Sohn und die Mutter
mit der Tochter jeweils allein etwas unternahmen, hatten ihre
Gro?eltern bereits von einer ans?ssigen Kirchengemeinde abgeschaut,
und sie waren schon allmonatliche Familientradition, als ihre echte
Mutter noch lebte.
John fuhr fort: "Also w?rde Dad und - wer auch immer mit ihm geht -
bis Sonntag Nachmittag weg sein."
Joanna seufzte. "Ach Mist, den Teil hab ich vergessen. Aber ich wollte
nur mal mit ihm zelten, und das n?chste Mal wird erst im Fr?hling
m?glich sein. Hast du eine Idee?"
John dachte eine Weile nach. So sehr war ihm nicht unbedingt nach
Angeln und Spurenlesen am Waldsee. Da klangen die Vorhaben ihrer
Stiefmutter schon interessanter. Aber seine Schwester w?rde schon
sehen was sie verpasste. Er zuckte mit den Schultern. "Ehrlich gesagt
ist es mir egal. Ich gehe auch gern mal mit Mom ins Theater und in den
Zoo - so schlecht ist sie nicht, trotz der Rumzickerei zwischen ihr
und Tante Emily. Ja, ich mache mit, ich bin am kommenden Wochenende
du."
Joanna war ebenso begeistert wie dankbar. Mit einer Zusage hatte sie
nicht gerechnet. "Wow, danke, Johnny," sagte sie, als sie ihrem Bruder
um den Hals fiel.
JOHN WAR SICH DER VERTAUSCHTEN ROLLEN BEWUSST. IMMERHIN WAR ER ES,
DER IM MOMENT - IM GEGENTEIL ZU SEINER SCHWESTER - WIE EIN M?DCHEN
AUSSAH. UND ER FAND ES WIDERLICH, VON EINEM JUNGEN UMARMT ZU WERDEN -
SELBST WENN DIESER JUNGE IN WIRKLICHKEIT SEINE EIGENE
ZWILLINGSSCHWESTER WAR. DAHER SCHOB ER JOANNA FORT. "IGITT! HABE ICH
DICH JE UMARMT WENN ICH IN MEINEN EIGENEN KLAMOTTEN WAR? ZUMINDEST
DORT WO ICH DABEI GESEHEN WERDEN KONNTE?"
Joanna musste verneinen. "Ich h?tte dich aber auch nicht gelassen,"
grinste sie.
W?hrend sich die beiden langsam in Bewegung setzten um Richtung Haus
zu gehen, fragte Joanna grinsend: "Sag mal, hast du echt gerade
"igitt" gesagt? Du redest tats?chlich schon fast wie ich. Sei besser
vorsichtig wenn du wieder du bist."
John warf einen ?berraschten Blick auf seine als Junge gekleidete
Schwester, und hielt sich unbewusst die Hand vor den Mund. "Ups."
JOANNAS AUGEN WURDEN GRO? VOR ?BERRASCHUNG. SIE KONNTE ES NICHT
FASSEN, WIE SEHR JOHN IN DIESE ROLLE HINEIN GESCHL?PFT WAR, WIE
?HNLICH ER IHR WAR. ER SOLLTE WIRKLICH AUFPASSEN, DASS ER DIESES
VERHALTEN NICHT ?BERNAHM, WENN ER WIEDER IN SEINER EIGENEN ROLLE WAR.
SIE SCHAUTE IHN MIT ERHOBENER AUGENBRAUE AN UND FRAGTE, IHN
IMITIEREND: "UPS?"
Beide fingen an zu lachen. Sie lachten immer noch schallend, als sie
das Haus erreichten.
Myra bereitete summend Kaffee. Es war Wochenende, die Websters w?rden
bald zu Kaffee und Kuchen kommen, anschlie?end w?rde sie sich einen
sch?nen Abend mit ihrer Lebensgef?hrtin Emily machen. Sie hatte sich
zu diesem Zweck bereits umgezogen, Top und Rock aus gl?nzend
poliertem, schwarzem Latex.
Die K?che in der sie stand, gl?nzte auch. Es war eine moderne K?CHE
mit glatten Hochglanzoberfl?chen, vor ein paar Jahren erst frisch
gekauft, schwarze Schr?nke mit roten Fronten und wei?en Auflagen.
Diese Hochglanzoberfl?chen waren schwer sauber zu halten, aber ihr und
Emily gefiel es so. Beinahe alles in dieser K?che war entweder
schwarz, rot, silbern oder wei? - und beinahe alles gl?nzte. Selbst
die silberfarbenen Gardinen aus halb-transparentem Kunststoff
gl?nzten.
Die T?r zur Garage ?ffnete sich und Emily betrat die K?che. Hinter ihr
konnte man an einem Kleiderst?nder einen Parka sehen, der ein Rot-
Kreuz-Zeichen auf dem R?cken hatte. Sie hatte ihn kurz vorher bei
ihren Hausbesuchen getragen.
Mit einem Kuss begr??te sie ihre Partnerin. "Hm, Myra, du siehst
lecker aus."
Myra drehte sich ganz zu ihr um und l?chelte. "Hi Liebes." Nach dem
sie den Kuss erwiderte wurde sie ernst. "Du bist sp?t, Emmy. Mikes
Familie wird bald hier sein. Wo warst du?"
Emily legte einen wei?en Karton auf einen Beistelltisch und seufzte.
"Die eine Hausgeburt hat l?nger gebraucht als erwartet. Au?erdem
musste ich erst noch die Skinsuits hier abholen", sie deutete auf den
Karton, "und habe einen Umweg zum Friedhof gemacht. Mikes Zwillinge
halten das Grab ihrer Mutter echt in Schuss. Wei?t ja, dass Mary wie
eine Schwester f?r mich war."
Myra reichte Emily einen Kaffee und seufzte ebenfalls. "Ich wei?.
Wenigstens hat der Kerl, der an ihren Bremsen herumgespielt hat,
endlich bekommen was er verdient. Was denkst du, haben die Zwillinge
schon angefangen Clara als Mom anzureden?"
Emily leerte die Tasse in einem Zug, stellte sie ab und ging durch
einen T?rbogen ins Wohnzimmer. W?hrend dem Hinausgehen sagte sie: "Ja
- so wie fast jedes Kind seine Stiefmutter irgendwann Mutter nennt.
Trotzdem komme ich immer noch nicht dar?ber weg, dass Mike nach Marys
Tod ausgerechnet Clara geheiratet hat."
Als Emily an der Durchreiche zwischen K?che und Wohnzimmer erschien,
fing Myra sofort an, ihr Geschirr durch zu reichen, damit sie den
Tisch decken konnte.
Pl?tzlich klingelte es an der T?r.
Emily stellte das Geschirr ab, und ging zur Diele um zu sehen wer da
war.
Mike und John waren es, passend f?rs Zelten in der Wildnis angezogen.
John war nerv?s und aufgeregt, was man allerdings als Vorfreude deuten
konnte.
Dennoch hatte Emily wieder dieses merkw?rdige Gef?hl, als ob es nicht
John war, der dort neben Mike stand, sondern seine Schwester. Dieses
Gef?hl hatte sie in der letzten Zeit ?fters gehabt, wenn sie einen
oder beide der Zwillinge von weitem gesehen hatte.
EMILY GR??TE BEIDE HERZLICH, UND F?HRTE SIE ZUM ESSTISCH.
IN DEM MOMENT KLINGELTE ES ERNEUT: CLARA UND JOANNA KAMEN AN.
Emily begr??te auch sie und f?hrte sie zum Tisch. Clara und Joanna
waren beide f?rs Theater angezogen: beide hatten eine neue, aufwendige
Frisur und trugen neue, edle Kleidung. Jedem entschl?pfte daher ein
?berraschtes, begeistertes "Wow" - auch Myra, die gerade mit einem
Tablett aus der K?che kam.
Trotz aller Freundlichkeit und guter Laune schien es jedoch, als sei
allein durch Claras Anwesenheit die Raumtemperatur um ein paar Grad
gesunken.
Etwa eine Stunde sp?ter waren alle so gut wie fertig, die Zwillinge
sa?en auf der Couch und schauten MTV, daher entschied Emily, in leisem
Ton ein ernsteres Thema anzusprechen.
"?BRIGENS," SAGTE SIE, "IM KRANKENHAUS HABE ICH GEH?RT, DASS MAN ERSTE
DIPHTHERIEF?LLE IN UNSEREM BUNDESSTAAT ENTDECKT HAT. DA BIN ICH
NAT?RLICH BESORGT, DA MEINE UNTERLAGEN BESAGEN, DASS DIE SCHUTZIMPFUNG
DER ZWILLINGE SCHON ?BERF?LLIG IST."
Mike war so ?berrascht dass er seine Zigarette beinahe neben den
Aschenbecher ausdr?ckte, was durch Myras Aufmerksamkeit verhindert
wurde. "Verzeihung, Emily," sagte er beinahe kleinlaut, "ich habe die
echt vergessen."
Emily war klar, dass er die Impfungen vergessen hatte. Dank ihrer
Beziehungen h?tte sie erfahren, wenn er die Kinder bereits h?tte
impfen lassen. Au?er wenn das innerhalb dieses Forschungsunternehmens
passiert w?re, f?r das er und Clara arbeiteten. Und wenn, w?re sie
jetzt halt mit der Notwendigkeit einer n?tigen Nachuntersuchung
gekommen. Was wussten Mike und Clara schon davon? Sie seufzte. "Ich
hatte wirklich gehofft, du h?ttest sie irgendwo anders machen lassen.
Hast du denn meine Memos nicht bekommen? Sie m?ssen unbedingt sofort
gemacht werden. Am besten, bevor ihr euer Campingwochenende antretet,
da die Risiken jetzt sehr hoch sind."
Clara konnte es nicht fassen. Emily wollte doch nicht etwa ihr
Wochenende sabotieren? Sie protestierte daher sofort: "Aber..."
Emily schaute sie freundlich an, als sie sie unterbrach: "Es tut mir
wirklich Leid, Clara, aber du willst doch nicht, dass die Zwillinge
krank werden? Vielleicht haben sie sich ja schon angesteckt? Nat?rlich
k?nnt ihr sie auch ins Krankenhaus schicken zur Impfung, und sie
w?rden dort mindestens einen Tag zur Untersuchung bleiben m?ssen."
Emily grinste innerlich, lie? sich aber nichts anmerken. "Aber als
ihre Kinder?rztin bezweifle ich, dass ich hier in meiner Praxis l?nger
als eine Stunde brauche f?r beide zusammen, einschlie?lich
Untersuchung. Au?erdem ist es kostenlos."
Sie kostete die Unzufriedenheit ihrer Cousine aus - egal was sie
vorhatte, Clara w?rde sich diesem Argument nicht entgegensetzen
k?nnen. Aber sie wollte es ihr doch ein wenig leichter machen - Mike
zu Liebe. Daher bot sie an: "Also wie w?re es wenn ihr einfach wartet
und wir machen in etwa einer Stunde Abendessen? Ich bin sicher, Myra
bereitet bis dann etwas leckeres. Oder wenn ihr etwas anderes vorhabt,
einfach raus damit, Myra oder ich bringen dann die Kinder zu euch wenn
ich hier fertig bin."
Clara hasste es unterbrochen zu werden, und sie hasste es, wenn etwas
nicht nach ihrem Plan lief. Diesmal jedoch hatte Emily Gl?ck, erstens
war das Argument nicht von der Hand zu weisen, und zweitens w?rde die
Theatervorstellung sowieso erst in ein paar Stunden beginnen. So
sparte sie sich wenigstens die Zeit ein ihr genehmes Lokal f?r ein
Abendessen zu suchen.
Aber ganz ohne Spitze wollte sie diesen Punktsieg nicht hinnehmen,
also erwiderte sie mit einem L?cheln auf den Lippen: "Wir freuen uns
schon auf ein Abendessen bei euch, nicht wahr, Mike? Aber ich brauche
zuerst einen Spaziergang an der frischen Luft nach all diesem Leder-
und Latexgeruch hier." Sie stand auf und machte sich zum Gehen fertig.
Mike folgte ihr und fauchte sie an: "H?r auf damit! So ein
Kindergarten zwischen euch beiden..."
Emily sch?ttelte nur ihren Kopf als sie die beiden an die T?r brachte.
Es war immer das selbe mit Clara, in all den Jahren hatte sie sich
nicht ver?ndert.
Myra brachte derweil schon mal das erste Geschirr in die K?che.
Emily reichte ihr den Rest des Geschirrs durch die Durchreiche, dann
sagte sie: "S??e, reich mir doch bitte den Karton. Ich nehme ihn schon
mal mit hin?ber in die Praxis und bereite alles vor. Wenn du hier
fertig bist, zeig den Kindern doch bitte den Weg zum Umkleideraum."
Myra konnte nicht glauben was sie da h?rte. "Du hast das echt alles so
geplant, nicht wahr?"
"NAT?RLICH. WAS GLAUBST DU DENN WOF?R ICH DIESES THEATER HIER
ANGESETZT HABE. UND ES W?RE UNN?TZ GEWESEN, H?TTE ICH KEINE AUSREDE
GEHABT, DIE KINDER IN MEINE PRAXIS ZU BEKOMMEN. ALSO BRING DANN DIE
KLEINEN ZUM UMKLEIDERAUM, BITTE."
Myra zuckte mit den Schultern und reichte Emily den Karton, die damit
in Richtung Korridor ging. Der war hinter drei weiten offenen T?rb?gen
an einer Breitseite des Wohnzimmers. Links dieser B?gen f?hrte eine
Treppe nach oben zum G?stezimmer, in der Mitte war eine geschlossene
T?r. Die zwei leicht ge?ffneten T?ren rechts f?hrten in ein
SCHLAFZIMMER und ins Bad. Emily ging durch die T?r in der Mitte dieses
Korridors und gelangte so in den Warteraum ihrer Praxis.
Als Myra mit Abwaschen fertig war, ging sie daher zu den Zwillingen.
"Johnny, Joanna? Folgt mir bitte."
Die Zwillinge schauten auf, schalteten den Fernseher aus, und folgten
Myra zur selben T?r, durch die Emily vorher durchgegangen war.
Nat?rlich waren die Zwillinge nicht besonders erfreut sich vor Tante
Emily auszuziehen. Immerhin w?rde ihr kleiner Tausch so auffliegen -
und sie wussten nicht, ob sie es geheim halten w?rde. Daher versuchten
sie es solange wie m?glich herauszuz?gern.
Pl?tzlich klopfte es, und die T?r zum Behandlungsraum ?ffnete sich ein
Spalt, Die Stimme von Emily kam von der anderen Seite: Habt ihr euch
schon ausgezogen, Kinder?"
DIE ZWILLINGE REAGIERTEN ERSCHROCKEN, SIE F?HLTEN SICH ERTAPPT.
GLEICHZEITIG ANTWORTETEN SIE SCHNELL: "NOCH NICHT, TANTE EMILY!"
AUF DER ANDEREN SEITE, IM BEHANDLUNGSRAUM STAND EMILY UND GRINSTE
WISSEND. SIE WUSSTE JETZT, DASS IHR GEF?HL SIE NICHT GET?USCHT HATTE.
Ohne die T?r zum Umkleideraum weiter zu ?ffnen, sagte sie: "Zieht euch
bitte aus. Ich kann euch nicht ordentlich durchchecken, wenn ihr
angezogen seid. Und glaubt nicht, dass ich lachen werde, wenn ich
einen nackten Jungen mit franz?sischem Zopf sehe, und ein M?dchen
dessen Haar wie das von einem Jungen einfach zusammengebunden ist.
Wenn ich das so lustig finden w?rde, h?tte ich schon laut losgelacht
als ihr das Haus betreten habt."
Die Zwillinge hinter der T?r reagieren geschockt. Woher konnte Tante
Emily das wissen? Was hatte ihr die wahre Identit?t verraten, das
sogar ihrem Vater unerkannt blieb?
Emily konnte sich nicht helfen, sie musste einfach weiter bluffen.
"Aber habt keine Angst. Nur eure echte Mutter und ich wussten st?ndig
wer von euch wer ist - und selbst eure Mutter war nur bei neunzig
Prozent sicher."
Die Zwillinge fl?sterten miteinander und entschieden sich nun doch,
sich auszuziehen. Wenn es ihre Tante Emily sowieso wusste, hatte alles
Z?gern keinen Zweck.
Und wieder drang die Stimme von Emily durch die einen Spalt breit
ge?ffnete T?r. "Und seit ich die einzige bin, die euch wirklich noch
jederzeit auseinanderhalten kann, ist euer Geheimnis sicher. Aber wenn
ihr es wirklich noch schwieriger, wenn nicht sogar unm?glich, f?r den
Rest der Welt machen wollt euch zu entlarven, dann habe ich nachher
eine ?berraschung f?r euch."
Die T?r ?ffnete sich langsam und die Zwillinge betraten besch?mt den
Behandlungsraum. Obwohl die Unterw?sche, die sie noch trugen, zu ihrem
vorherigen Outfit und ihrer Frisur passte, wurde jetzt deutlich, dass
die beiden ihre Rollen getauscht hatten.
Emily umarmt die zwei, dann f?hrt sie sie weiter in den Raum hinein.
Eine halbe Stunde sp?ter sa?en alle drei um Emilys Schreibtisch. Die
Zwillinge rieben sich den Oberarm. Beide hassten Spritzen.
Emily reichte jedem von ihnen eine beigefarbene Plastikt?te. Wissend
l?chelnd sagte sie: "Packt das aus, bitte. Und ihr werdet eure
Unterw?sche ausziehen m?ssen, bevor ihr das anzieht was darin ist.."
Wie beinahe zu erwarten, antworteten die Zwillinge wieder
gleichzeitig: "Was ist es?"
Sie ?ffneten ihre T?ten und entnahmen jeweils eine schwarze
Plastikkarte und etwas, das aussah wie ein hautfarbener
Gymnastikoverall. Sie wunderten sich zwar warum sie diesen Anzug
ausgerechnet unter die Unterw?sche ziehen sollten, legten jedoch die
Plastikkarten auf den Schreibtisch und taten wie gehei?en. Bald hatten
sie sie angezogen.
"UND NUN ZU DEN KARTEN," ERKL?RTE EMILY. "NEHMT SIE UND STREICHT MIT
IHNEN ?BER DEN REI?VERSCHLUSS, VON HALS ZUR BRUST. DANN K?NNT IHR EUCH
WIEDER ANZIEHEN."
Die Zwillinge schauten ihre Tante fragend an, aber taten trotzdem was
ihnen gesagt wurde. Und die Verwandlung begann.
Von einem kurzen Schmerz begleitet, wurden die Anz?ge immer blasser,
bis sie v?llig verschwanden, und die Kinder wieder nackt waren.
Allerdings ihre K?rper waren jetzt verwandelt: der Zwilling mit dem
Franzosenzopf war jetzt tats?chlich ein M?dchen, der Zwilling mit dem
tiefen Pferdeschwanz tats?chlich ein Junge.
Das M?dchen schaute an sich herunter und platzte geschockt heraus:
"Ach du Schei?e! Tante Emily, Was ist mit meinem - Ding?"
Der Junge sah ebenfalls an seinem K?rper hinunter, und starrte
entgeistert auf seine Schwester: "Oh Gott! Scheinbar hab ich das
jetzt. Wie ist das m?glich?"
Emily lehnte sich zufrieden zur?ck. Die Skinsuits funktionierten also
doch genauso wie es ihr erkl?rt worden war, auch au?erhalb der
"Laborbedingungen" der Forschungseinrichtung, in der sie sie w?hrend
einer Konferenz gesehen hatte. Dort hatten sie zwar funktioniert,
mehreren Personen wurden dort die verschiedensten Skinsuits angezogen
- aber es hatte trotzdem alles so nach Sciencefiction geklungen, dass
Zweifel geblieben waren, ob sie tats?chlich gem?? der Erl?uterungen
und wiederholten Beteuerungen auch im normalen Leben genauso
funktionierten, nicht nur ein gut gemachter B?hneneffekt waren.
Allerdings wollte Emily einfach wissen und nicht nur glauben, und mit
ihrem Cross-Dressing waren daher ihre Patenkinder, die Webster-
Zwillinge, die idealen Testpersonen. Da der Hersteller dieser
Skinsuits ausgerechnet das Institut war, in dem Clara arbeitete, hatte
sie diese beiden Skinsuits ?ber Strohm?nner kaufen lassen, selbst auf
die Gefahr hin, sich eine teure Fehlinvestition geleistet zu haben.
Obwohl sie erleichtert war, lie? sie es sich nicht anmerken.
Sie erkl?rte den Kindern mit einfachen Worten, was sie damals in
wissenschaftlicher Form geh?rt hatte: "Nun, diese Skinsuits enthalten
eine Art schlaue nanoelektronische Ger?te, so klein wie Viren. Diese
Dinger, Naniten genannt, machen euch nicht krank, sondern k?nnen Haut
und Knochen heilen, oder euren K?rper in eine vorprogrammierte Form
?ndern - mit den Skinsuits hier war es eben euer Geschlecht, das
ver?ndert wurde."
Jedoch musste sie die Teenager warnen: "Aber gew?hnt euch nicht zu
sehr an sie, denn w?hrend ihr sie tragt, wird nichts, auch keine
medizinische Untersuchung, erkennen lassen, dass ihr nicht das seid
was ihr zu sein scheint. Also, solange ihr in diese Anz?ge gesiegelt
seid, habt ihr das Geschlecht als das ihr auftretet. Aber sobald ihr
die Skinsuits auszieht, seid ihr wieder ihr selbst."
Sie schaute in die begeisterten Gesichter der Zwillinge, die in
vertauschten K?rpern vor ihr sa?en. Jetzt musste sie sicher gehen:
"Habt ihr die Plastikkarten, die mit dabei waren?"
Die Zwillinge best?tigten es, w?hrend sie ihre Unterw?sche wieder
anzogen.
"VERLIERT SIE NICHT. IHR BRAUCHT SIE, UM EURE SKINSUITS ZU
DEAKTIVIEREN UND SIE AUSZUZIEHEN. EINFACH DIE KARTE ?BER DIE STELLE
WISCHEN WO DER REI?VERSCHLUSS SEIN M?SSTE, DANN ENTSIEGELN SICH DIE
ANZ?GE VON SELBST, ERSCHEINEN WIEDER, UND IHR K?NNT SIE GANZ NORMAL
AUSZIEHEN. ALSO GEBT ACHT AUF DIESE KARTEN - ES IST NAHEZU UNM?GLICH,
DAVON EINE KOPIE ZU BEKOMMEN, ERST RECHT F?R MICH."
Auf dem Weg zum Umkleideraum fl?sterten die Zwillinge aufgeregt
miteinander. Sie konnten es nicht fassen, dass sie jetzt tats?chlich
der andere Zwilling SEIN konnten.
Nach dem Abendessen bei Emily fuhr Clara mit ihrer Stieftochter zum
Theater.
Sie rollte genervt mit ihren Augen als sie die Parkgeb?hr in den
Automaten warf. Dann ?ffnete sie die Beifahrert?r, als w?re ihre
Stieftochter eine wichtige Pers?nlichkeit, und half ihr heraus.
Gemeinsam stolzierten sie die Treppe hinauf, als w?ren sie die Stars
des heutigen Abends.
Als das M?dchen am Eingang des Theaters sah, dass am heutigen Abend
ein Musical gezeigt wurde, war es begeistert. Das Musical war so oft
in der Werbung gewesen, und die Ausschnitte im Fernsehen versprachen
so viel, trotzdem war der Teenager noch nie in diesem Musical gewesen,
weder normal noch verkleidet, es war eine v?llig neue Erfahrung. Das
war doch viel besser als Zelten und Angeln!
Zur selben Zeit fuhr Mikes SUV in von der Waldstra?e entlang des Sees
in eine Nebengasse hinein. Durch ein paar Kurven gesch?tzt, formten
B?ume und B?sche an ihrem Ende eine Art nat?rlich gewachsener Garage.
Zwischen den B?umen und B?schen konnte man hinter sanft ansteigenden
H?geln bereits den See sehen.
Vater und Sohn luden die Campingausr?stung aus dem SUV und trugen sie
Richtung Seeufer. Der Junge freute sich schon auf die Abenteuer in
dieser Wildnis. Um wieviel besser war das doch, verglichen mit
Theater, Shopping und Zoo!
Stunden sp?ter war das Musical vorbei. Joanna - genauer gesagt, John
im K?rper von Joanna - war ganz aus dem H?uschen, als sie mit ihrer
Stiefmutter das Theater verlie?. Sie war es noch immer, als Claras
Toyota in die heimische Doppelgarage fuhr.
Und wie furios das Musical doch gewesen war, wie mitrei?end und
eindringlich die Musik, wie atemberaubend der Stepptanz, wie
beeindruckend die Stimmen!
Clara war erleichtert. Sie hatte bef?rchtet, dass sie die
Unterhalterin f?r einen gelangweilten Teenager spielen musste.
Dennoch, der morgige Tag war bestimmt weniger spannend f?r das Kind.
Zur selben Zeit g?hnte John - genauer gesagt Joanna im K?rper von John
- m?de, w?hrend Mike ein letztes Mal das Lagerfeuer sch?rte. Er (sie)
stand vom Lagerfeuer auf und kroch in das kleinere der beiden Zelte.
Mike schaute l?chelnd hinter seinem Sohn hinterher. Er freute sich
?ber den neuen Eifer des Jungen. Wie ausgewechselt war er, gar nicht
mehr der schnell gelangweilte Teenager der er vorigen Monat zum
letzten Campingausflug zu sein schien. Scheinbar hatte das st?ndige
Fragen seiner Schwester ihm neuen Eifer verpasst. Ja, das musste es
sein: hatte er selbst nicht damals als Jugendlicher ebenfalls st?ndig
vor seinen Schwestern mit seinen Abenteuern in der Wildnis geprahlt?
Er ging noch einmal an seinen Angelsteg und versuchte sein Gl?ck.
Vielleicht schaffte er ja diesmal den Hecht zu fangen.
Bei Sonnenaufgang wurde John von einem Traum aufgeschreckt.
Irgendetwas hatte ihm in diesem Alptraum seine Identit?t gestohlen, er
konnte sich nicht mehr an alles davon erinnern, nur dass er pl?tzlich
kein Junge mehr war.
Er setzte sich auf und schaute verwirrt umher: "Moment", versuchte er
in Gedanken seine Eindr?cke zu sortieren. "Warum bin ich in Joannas
Zimmer?"
Stolpernd tapste er ins Bad, knipste das Licht an, zog sich ohne
nachzudenken das Nachthemd aus, und starrte in den Spiegel. Er wusste
ja, wie ?hnlich er Joanna sah, deswegen dauerte es ein paar Sekunden
bevor er realisierte, dass das M?dchen im Spiegel er selbst war.
Er erinnerte sich jetzt an die Verwandlung durch die Skinsuits, und an
den gestrigen Abend im Theater, wie echt sich alles angef?hlt hatte im
Vergleich zu den Tagen, an denen er mit seiner Schwester nur die
Kleidung getauscht hatte.
AUFGEREGT FL?STERTE ER: "OH SCHEI?E, ES IST TATS?CHLICH WAHR! ICH HABE
ES DOCH NICHT GETR?UMT! ICH BIN ZUR ZEIT JOANNA!"
Dennoch dauerte es einige Sekunden mehr, bis er mit dem jetzt
weiblichen K?rper klar kam, als seine Blase dr?ckte. Pl?tzlich war er
froh, dass er so h?ufig mit seiner Schwester die Rollen getauscht
hatte. Und dass sie sich immer gegenseitig Tipps gegeben hatten um
einander glaubw?rdiger darzustellen. Das ersparte ihm jetzt, mit dem
K?rper eines M?dchens, die Peinlichkeit, sich vor dem Becken
hinzustellen. Nach dem H?ndewaschen und Anziehen kehrte er - nein, sie
- l?chelnd ins Bett zur?ck und schlief schnell wieder ein.
Zur selben Zeit wachte Mike in seinem Zelt am Seeufer von einem
Ger?usch auf. Kaum das Grillengezirp ?bert?nend, waren leise Schritte
zu h?ren. Wer in aller Welt sollte um diese Zeit in der N?he dieses
Platzes sein? Es war sein pers?nlicher Angelplatz, als
Privatgrundst?ck ausgeschildert! Er zog sich leise an und kroch aus
dem Zelt.
Im Licht der gerade aufgehenden Sonne sah er sich um. Alles war leer.
Weder in Richtung See, noch in Richtung Wald war irgendjemand zu
sehen.
Mike zuckte mit den Schultern. Es war ja m?glich, dass er dieses
Ger?usch nur getr?umt hatte. Dann jedoch sah er einige Schritte
entfernt frische Schuhabdr?cke auf einer sandigen Stelle. Er
schmunzelte beim Gedanken an eine Verfolgung, wusch sich mit Seewasser
die M?digkeit aus dem Gesicht, und schlich sich hin?ber zu Johns Zelt.
Joanna w?lzte sich unruhig hin und her und tr?umte. Wieso war ihr Bett
so hart? Und wieso konnte sie die Bettdecke nicht zur?ckschlagen?
Irgendetwas f?hlte sich anders an, sie konnte nur nicht sagen was.
"AUFWACHEN, MEIN SOHN! ABENTEUER WARTET!" DRANG PL?TZLICH DIE
ENTHUSIASTISCHE STIMME IHRES VATERS AN IHR OHR. DAS VERWIRRTE SIE.
WIESO NANNTE IHR VATER SIE SEINEN SOHN?
M?hsam ?ffnete sie die Augen und sah sich um. Sie erkannte verwundert,
dass sie in einem Schlafsack lag, in einem Zelt. So langsam kam die
Erinnerung wieder zur?ck: die Skinsuits bei Tante Emily! Die
Verwandlung in einen Jungen! Ja, es stimmte, sie WAR ja jetzt John!
Und als John beim Vater-Sohn-Wochenende, und deswegen zusammen mit
ihrem Dad zelten!
Sie - nein, er - krabbelte aus dem Schlafsack, zog sich an, und
verlie? g?hnend das Zelt. "Was ist denn los so fr?h am Morgen, Dad?"
Mike strahlte seinen Jungen an. "Hast du Lust, Detektiv zu spielen?
Komm, folgen wir ein paar Fu?spuren."
Der Junge st?hnte. "Und das noch vor dem Fr?hst?ck. Na toll," dachte
er. "Davon h?tte mir Johnny auch erz?hlen k?nnen."
Um die Schuhabdr?cke im diffusen Licht des Sonnenaufgangs besser
erkennen zu k?nnen, kramte Mike eine Taschenlampe aus einer der vielen
Taschen seiner Weste. Der harte Lichtstrahl verst?rkte die Kontraste
und lie? die Details der Sohlenabdr?cke klarer hervorstehen.
MIKE GING IN DIE KNIEBEUGE UND ZEIGTE AUF DIE SPUREN: "SCHAU MAL HIER,
DAS SIND UNSERE SPUREN, ALS WIR NOCH MAL ZUR?CKGEGANGEN SIND UM DIE
GETR?NKE VOM WAGEN ZU HOLEN. ABER WESSEN SPUREN SIND DAS HIER?"
JOHN SCHAUTE ETWAS GENERVT DARAUF: "VIELLEICHT DIE VOM F?RSTER? KEINE
AHNUNG, DAD, ECHT."
Mike schmunzelte. Unausgeschlafen waren alle Websters brummig. Er
selbst h?tte sich ja im Normalfall auch erst ?berwinden m?ssen. "Nicht
doch, Junge," erkl?rte er geduldig. "Schau, der F?rster ging da lang,
siehst du dort, die alten Spuren? Er trug feste Stiefel, wie jeder der
sich in der Wildnis auskennt. Aber zwei Leute hier - schau, es sind
zwei verschiedene Spuren - tragen keine Stiefel. Hier, in der
Schlammpf?tze kann man es besser sehen: es sieht aus wie ein Paar
Turnschuhe und ein Paar normale Stra?enschuhe." Er hatte recht,
solches Schuhwerk trug man hier selten.
Das wiederum weckte nun doch die Neugier des Teenagers. Gemeinsam mit
seinem Vater folgte er den Schuhabdr?cken in den Wald.
"AUFWACHEN, SCHLAFM?TZE," SAGTE CLARA ALS SIE IHRE TOCHTER WECKTE.
"DIE TIERBABYS IM ZOO WARTEN SCHON DARAUF, DASS DU SIE F?TTERST."
DAS M?DCHEN IM BETT WAR PL?TZLICH HELLWACH. "WAS? ICH DARF SIE
F?TTERN? WIRKLICH?" TIERBABYS F?TTERN? NICHT DASS AUCH NUR EINER DER
ZWILLINGE SO ETWAS SCHON JEMALS GEMACHT H?TTE. NA, DIE ECHTE JOANNA
W?RDE AUGEN MACHEN!
CLARA SCHMUNZELTE. ES LIEF DOCH BESSER ALS ERWARTET. "SICHER. EINE
FREUNDIN VON MIR ARBEITET DORT, UND HAT MIR ZUGESAGT, DASS SIE DAS F?R
DICH ARRANGIERT. UND DANACH BESUCHEN WIR EINE ANDERE ART ZOO ...", SIE
SENKTE GEHEIMNISVOLL IHRE STIMME, "... DEN INSTITUTS-ZOO. DU WIRST
BEEINDRUCKT SEIN. UND NACH EIN BISSCHEN SHOPPING IN DER MALL GEHT'S
INS SCHWIMMBAD. DU SIEHST ALSO, HEUTE WIRD WIEDER EIN SCH?NER TAG."
"Boah, herrlich!" platzte Joanna heraus, als sie aufstand und ins
Badezimmer ging.
W?HREND SIE SICH IM BADEZIMMER FERTIG MACHTE, SUCHTE IHR IHRE
STIEFMUTTER EIN PAAR KLEIDUNGSST?CKE HERAUS UND LEGTE SIE IHR AUFS
BETT.
EINIGE ZEIT SP?TER BETRAT JOANNA IN EBEN DIESEN SACHEN DEN
K?CHENBEREICH, WO CLARA F?R BEIDE EIN LEICHTES FR?HST?CK BEREITET
HATTE. NACHDEM SIE GEGESSEN UND ALLES WEGGER?UMT HATTEN, VERLIE?EN
BEIDE DAS HAUS.
ZUR SELBEN ZEIT WAREN JOHN UND MIKE IMMER NOCH EIFRIG AM SPUREN
SUCHEN. DER JUNGE WAR SICHTLICH BEGEISTERT ALS ER ZUM WIEDERHOLTEN MAL
EINE NEUE SPUR AUF DEM WALDWEG ENTDECKTE BEVOR SEIN VATER SIE SAH.
Zu sp?t jedoch bemerkten beide, dass sie in der N?he vom SUV
angekommen waren. Mike richtete sich auf, duckte sich jedoch zu Johns
Verwunderung sehr schnell wieder. "Hinter diesen Busch, schnell, und
sei leise!" fl?sterte er eindringlich.
John fl?sterte zur?ck: "Okay Dad." und hockte sich mit ihm zusammen
hinter einen gro?en Busch, der zwischen ihnen und dem SUV wuchs.
Neugierig bog John ein paar Zweige beiseite, um zu sehen, ob es etwas
gab, wovor sie sich so dringend verstecken mussten.
"VERZEIHEN SIE BITTE," SAGTE EINE FRAU, ALS CLARA EINER KINDERGRUPPE
AUSWEICHEN MUSSTE UND DADURCH BEINAH IN EINEN BUSCH LIEF. "WENN SIE SO
AUSGELASSEN SIND, KONZENTRIEREN SIE SICH KAUM AUF DEN WEG." SIE RIEF
EINS DER ETWA ZEHN GLEICHALTRIGEN KINDER ZUR ORDNUNG, DANN WANDTE SIE
SICH WIEDER CLARA ZU: "VOR ZWEI TAGEN SIND N?MLICH ADLERK?KEN
GESCHL?PFT, WISSEN SIE, DAS IST F?R SIE EINE SENSATION."
CLARA L?CHELTE. "NICHT NUR F?R SIE," SAGTE SIE. DAS STIMMTE. ES
PASSIERTE H?CHST SELTEN DASS SO ETWAS IN EINEM ZOO GESCHAH. ALSO
HATTEN JOANNA UND SIE JA EIN WEITERES ZIEL HIER IM ZOO, WOHIN SIE
GEHEN KONNTEN.
SIE SCHAUTE AUF IHRE STIEFTOCHTER. WIE STOLZ SIE DOCH VORHIN WAR,
W?HREND SIE DIESE TIERBABYS GEF?TTERT HATTE. ALS WENN SO EINE NIEDERE
T?TIGKEIT TATS?CHLICH SO ETWAS BESONDERES WAR. ABER DEN WEBSTERS LAG
JA SOWIESO DAS DIENEN IM BLUT, SIE K?MMERTEN SICH MEHR UM ANDERE ALS
UM SICH SELBST. NUN, SIE W?RDE ES ENTSPRECHEND ZU LENKEN WISSEN.
Als sie dann ebenfalls mit Joanna bei den Adlerk?ken war, konnte sich
Clara dennoch eine gewisse Faszination nicht verkneifen.
Doch pl?tzlich klingelte ihr Mobiltelefon. Sie schaute auf die Anzeige
und seufzte. Sie ging ein paar Schritte beiseite und fauchte leise
hinein: "Was ist?"
Als sie die Antwort h?rte, sch?ttelte sie den Kopf. "Das sollte euch
doch egal sein", sagte sie leise. "Schlie?t den Auftrag ab und
fertig."
Sie seufzte und steckte das Handy wieder weg. Dann setzte sie ein
zufriedenes L?cheln auf und ging zur?ck zu Joanna. Wenn alles nach
Plan gelaufen war, w?rde ihr Mann nicht mehr bei der Erziehung des
M?dchens dazwischen funken.
Gemeinsam gingen sie weiter durch den Zoo. Ein paar Hirsche
faszinierten Joanna. Die waren schon etwas anderes als die, die ab und
zu am Angelplatz zu sehen waren. Sie ging n?her an das Gehege heran um
sie genauer zu beobachten.
DURCH DIE ZWEIGE DES BUSCHES KONNTEN MIKE UND JOHN ZWEI M?NNER
BEOBACHTEN, DIE GERADE DABEI WAREN, DEN SUV ZU KNACKEN. ALS DIE T?REN
GE?FFNET WAREN, NAHMEN DIESE M?NNER IHRE RUCKS?CKE AB UND HOLTEN GRAUE
P?CKCHEN HERAUS, DIE SIE ?BERALL IM WAGEN VERTEILTEN.
MIKE WURDE W?TEND. ER H?TTE ZU GERN GEWUSST, WER IHM SOLCHE LEUTE AN
DEN HALS HETZTE. JETZT WURDE ER JEDOCH DURCH DAS UNVORSICHTIGE
VERHALTEN SEINES SOHNES ABGELENKT.
"WAS MACHEN SIE DA, DAD?" FL?STERTE DIESER.
MIKE SCHAUTE IHN ERNST AN. WER SOLCHE MENGEN AN SPRENGSTOFF HATTE, DER
HATTE WOM?GLICH AUCH SCHUSSWAFFEN. ER HIELT SICH DEN ZEIGEFINGER VOR
DEN MUND UND FL?STERTE ZUR?CK: "PST, SEI STILL." DER ERNSTE BLICK
REICHTE WOHL, JEDENFALLS SCHAUTE SEIN JUNGE EINGESCH?CHTERT UND
VER?NGSTIGT.
AM FAHRZEUG PLATZIERTE DERWEIL EINER DER GANGSTER EIN P?CKCHEN IM
MOTORRAUM UND BASTELTE DARIN AN DER ELEKTRIK HERUM.
DER ANDERE Bombenleger kroch w?hrenddessen im Inneren des SUV umher.
VORSICHTIG SCHLOSS DER ERSTERE DIE MOTORHAUBE UND FRAGTE SEINE
KOMPLIZEN: "FERTIG DA DRIN?"
"GLEICH, NOCH EINE MINUTE," KAM DIE ANTWORT VON INNERHALB DES WAGENS.
UNGEDULDIG BRUMMTE DER ERSTE. "OKAY, BEEILE DICH."
ES REICHTE MIKE JETZT. SIE SCHIENEN KEINE SCHUSSWAFFEN DABEI ZU HABEN
UND WAREN DURCH IHRE T?TIGKEIT ABGELENKT, ALSO KONNTE ER VERSUCHEN,
SIE ZU ?BERW?LTIGEN. ER INSTRUIERTE DAHER SEINEN SOHN FL?STERND:
"WARTE HIER UND BLEIB STILL. WENN ICH DIR ZURUFE "LAUF", DANN LAUF
ZUR?CK SO SCHNELL DU KANNST."
JOHN WAR ENTSETZT. WAS HATTE SEIN DAD VOR? ABER ER WUSSTE, ER SELBST
KONNTE NICHTS AUSRICHTEN, ALSO FL?STERTE ER ZUR?CK: "OH-OKAY, DAD."
W?HREND MIKE DIE DECKUNG DER B?SCHE NUTZEND ZUM VORDEREN TEIL DES
WAGENS SCHLICH, KRAMTE DER AN DER MOTORHAUBE STEHENDE MANN EIN HANDY
HERVOR UND RIEF PER KURZWAHL JEMANDEN AN. ER ZUCKTE KURZ ZUR?CK, DANN
ERSTATTETE ER BERICHT: "AUFTRAG AUSGEF?HRT, BOSS - OBWOHL ES SCHADE UM
DEN SCH?NEN WAGEN IST." AN SEINEM AUGENROLLEN WAR ZU ERKENNEN DASS
DIESER KOMMENTAR DEM BOSS WOHL NICHT GESCHMECKT HATTE. "OKAY, BOSS,"
SAGTE ER ALSO UND STECKTE DAS HANDY UMST?NDLICH WEG.
ER B?CKTE SICH, UM SEINEN RUCKSACK AUFZUNEHMEN. DOCH ALS ER SICH
WIEDER AUFRICHTETE, WURDE ER BEREITS VON MIKES ARM ?BERRASCHT. ER KAM
GAR NICHT MEHR DAZU SEINEN KOMPLIZEN ZU WARNEN, DA IHM PL?TZLICH
MANGELS LUFTZUFUHR SCHWARZ VOR AUGEN WURDE UND ER DAS BEWUSSTSEIN
VERLOR.
DER ZWEITE GANGSTER WAR GERADE DABEI, AUS DEM SUV ZU KOMMEN, ALS MIKE
IHN MITTELS NAHKAMPF-TECHNIKEN ?BERRASCHTE. SCHLIE?LICH VERLOR AUCH ER
DAS BEWUSSTSEIN, UND MIKE BEGANN FLUCHEND DIE BEIDEN BEWUSSTLOSEN
K?RPER IN SEINEN SUV ZU BUGSIEREN.
Mike ?ffnete die Motorhaube, schaute hinein und fluchte wieder als er
die Verkabelung sah. Er konnte erkennen, dass die Sprengs?tze
hochgehen w?rden, wenn der Motor auch nur im Leerlauf lief. Egal wer
dahinter steckte, derjenige wollte ihn tot sehen und machte sich
nichts daraus, den Tod seines Sohnes als Kollateralschaden
hinzunehmen. Und es war Mike auch klar, dass er und sein Sohn in
Lebensgefahr schwebten, sollte er die zwei Kerle am Leben lassen.
Er holte sein Handy aus einer Westentasche und w?hlte schnell.
"Hoffentlich ist es nicht die Mailbox", murmelte er. Dann sagte er ins
Handy: "Bill, hier ist Mike. Ich brauche Hilfe. Komm bitte so schnell
du kannst zu meinem Camp!"
Er drehte sich zu seinem Sohn und begann zu laufen, w?hrend er sein
Handy wieder verstaute. So laut er konnte rief er: "Lauf, Johnny! LAUF
UM DEIN LEBEN!"
John hatte aus dem Versteck hinter dem Busch alles erstaunt mit
angesehen. Er h?tte nie gedacht, dass sein Dad solche Nahkampf-
Techniken drauf hatte. Er wusste auch nicht genau was jetzt los war,
da die beiden Gangster ja bewusstlos waren, aber dass sie immer noch
in Gefahr waren, konnte er aus der Dringlichkeit der Worte seines
Vaters schlie?en. Also drehte er sich um und rannte so schnell er
konnte in Richtung des Camps.
Mike blieb kurz stehen, und schaute w?tend auf seinen Wagen. Er holte
sein Schl?sselbund mit der Fernsteuerung aus der Tasche und dr?ckte
mit den Worten "Mach's gut, alter Freund." auf den Knopf, der den
Motor des SUV anspringen lie? und den er normalerweise nutzte um den
Wagen im Winter zu heizen. Es funktionierte. Brummend setzte sich der
durstige Achtzylinder in Gang.
So schnell er konnte, lief Mike weiter, bis er seinen Sohn erreichte.
Im Laufen griff er nach ihm und nahm ihn hoch, als w?re der Teenager
ein kleines Kind, und rannte weiter in Richtung See.
Pl?tzlich rannte er nicht mehr. Er flog vielmehr, durch die Druckwelle
einer gewaltigen Explosion von hinten getroffen, durch die Luft.
CLARA FUHR AUF EINEN GRO?EN NAHEZU LEEREN PARKPLATZ VOR EINER GRO?EN
INDUSTRIELL AUSSEHENDEN ANLAGE. ?BER DEM TOR NEBEN DEM AN DEN
PARKPLATZ ANGRENZENDEN GEB?UDE PRANGTE DIE AUFSCHRIFT "GENETIC
RESEARCH INSTITUTE".
Clara hielt direkt am Geb?ude. Als sie ausstiegen, fragte Joanna
zweifelnd: "Und hier soll ein Zoo sein?" Man brauchte nicht viel
Einf?hlungsverm?gen um zu sehen, dass sie entt?uscht war.
Clara l?chelte nur und erwiderte: "Aber ja doch, mein Engel. Ich
m?chte allerdings, dass du niemandem erz?hlst, was du hier drin
siehst. Denn wenn du es erz?hlst, wird man dich sehr wahrscheinlich
auslachen, weil es wirklich unglaublich ist."
Was sollte in diesem Institut schon so unglaubliches geben? Joanna war
verwirrt. Trotzdem antwortete sie: "Okay, Mom, verstehe."
Zu ihrer gr??eren Verwirrung lachte ihre Stiefmutter dar?ber. "Noch
nicht, meine Liebe. Aber bald."
Als sie zum Tor gingen, hielt sie ein Sicherheitsposten auf. Zu
Joannas gro?em Erstaunen, salutierte der uniformierte Wachmann und
lie? beide durch das Tor.
Ein weiterer Wachmann geleitete sie durch das Geb?ude, und lie? sie
allein, als sie einen Fahrstuhl betraten.
"DER ZOO IST GANZ UNTEN, MEIN SCHATZ", SAGTE CLARA. SIE STECKTE EINEN
SCHL?SSEL IN EIN ENTSPRECHENDES SCHLOSS AN DER KNOPFLEISTE DES
FAHRSTUHLS UND DREHTE IHN, WODURCH SICH UNTERHALB DER VORHANDENEN
KN?PFE EINE ABDECKUNG BEISEITE SCHOB UND EIN PAAR WEITERE KN?PFE
SICHTBAR WURDEN. "DR?CK MAL AUF B-8," ERMUNTERTE SIE IHRE TOCHTER.
DIESE KAM AUS DEM STAUNEN NICHT HERAUS. WAS ZUM TEUFEL WAR DAS F?R
EINE EINRICHTUNG? UND WIESO BEHANDELTEN DIESE WACHLEUTE IHRE MOM WIE
EINE CHEFIN? WOZU BRAUCHTE EIN FORSCHUNGSINSTITUT GEHEIME
UNTERGESCHOSSE UND EINEN GEHEIMEN ZOO? SIE SCHAUTE IHRE MOM AN, HOLTE
TIEF LUFT, UND DR?CKTE AUF DEN KNOPF.
UNMERKLICH SETZTE SICH DER FAHRSTUHL IN BEWEGUNG. DASS ER SICH
?BERHAUPT BEWEGTE, ERKANNTE JOANNA NUR DURCH DEN WECHSEL DER
BELEUCHTUNG DER ETAGENKN?PFE UND DURCH DIE ANZEIGE ?BER DER T?R.
KAPITEL 3: NEUE IDENTIT?TEN
Das Seeufer sah reichlich verw?stet aus. Die Druckwelle der Explosion
hatte an dieser Stelle ziemlich viel vom Wald zerst?rt. Eine gro?e
Anzahl der B?ume war zerbrochen oder ganz gef?llt, manche rauchten
noch. Das Ufer direkt war beinahe vollst?ndig unter den ?sten
herumliegender B?ume und Staub vergraben.
Eine hohe Flamme zeigte die Stelle an der mal der Gel?ndewagen von
Mike gestanden hatte. Doch auch sie wurde bald schw?cher, genau wie
der Staub sich ebenfalls langsam legte.
Hustend und prustend tauchte erst ein, dann zwei K?pfe ?ber der
Wasseroberfl?che des Sees auf.
Es waren Mike und sein Kind, die durch die Druckwelle bis in den See
geworfen worden waren und jetzt ersch?pft zum Ufer schwammen.
"BIST DU OKAY, JUNGE?", RIEF MIKE BESORGT ZWISCHEN ZWEI SCHWIMMZ?GEN.
Der Junge hatte zu tun, genug Kraft zum Schwimmen zu finden, so
brummte er nur ein "M-hm."
Innerlich jedoch verfluchte sich der Teenager selbst: die Identit?ten
zu tauschen war pl?tzlich gar nicht mehr so witzig. Nein, John -
genauer gesagt, Joanna im K?rper von John - war nicht okay, ganz und
gar nicht. Verdammt, sie waren gerade beinahe get?tet worden!
An einer Stelle die mit wenig Ger?ll bedeckt war, kroch er an Land
und schaute sich beim Aufstehen um. "Unsere Zelte!", rief er
verzweifelt aus.
Sein Vater kam ebenfalls an Land, stand auf und fasste sein Kind an
den Schultern. Beharrlich fragte er noch einmal: "Bist DU okay, John?"
Der Teenager schaute ihn entgeistert an. Sein Vater sah doch dass er
zwar ersch?pft, aber unverletzt und am Leben war. Und dass er Angst
hatte. "Ja ich bin okay, Dad. Aber guck doch, unsere Zelte! V?llig
zerst?rt!", rief er aus.
Das musste eine Schockreaktion sein, dachte Mike bei sich: der Junge
war bestimmt nicht okay, aber schaute zuerst nach dem Lager. Er
versuchte sein Kind zu beruhigen. "Ruhig, mein Sohn", sagte er. "Das
sind nur Sachen. Die kann man ersetzen. Uns nicht. Wir sind Menschen."
John war ganz und gar nicht beruhigt. Waren nicht auch zwei Menschen
genau im Zentrum der Explosion gewesen, die ihn und seinen Vater
weggeblasen hatte?
"ABER DIE M?NNER DORT WAREN AUCH MENSCHEN!", PLATZTE ER HERAUS. "UND
DU HAST SIE GET?TET! DU BIST EIN M?RDER, GENAU WIE SIE!" ZORNIG
VERSUCHTE ER SEINEN VATER ABZUSCH?TTELN UND WEG ZU SCHIEBEN.
"Nein, John." erwiderte der. "Ich bin kein M?rder. Als ich sie in den
Wagen gesteckt habe, waren sie nur k.o. Ihre eigene Bombe hat sie
get?tet. Glaub mir ich habe das nicht gern getan - aber leider stand
es unser Leben oder ihres."
John stiegen Tr?nen in die Augen. Nat?rlich war sein Dad kein Killer,
er hatte nur sein eigenes Leben riskiert um das seines Kindes zu
sch?tzen. Schuldbewusst schluchzte er: "Oh, Dad. Es tut mir so Leid."
IN DIESEM AUGENBLICK WAR ETWAS IM UMHER LIEGENDEN GE?ST ZU H?REN.
AUS DEM RASCHELN KRISTALLISIERTEN SICH SCHRITTE HERAUS. JEMAND KAM AUF
SIE ZU.
Panik stieg in John auf. "Ob sie jetzt zur?ck sind, und uns kriegen
wollen?"
Zur selben Zeit gingen Clara und Joanna durch einen leeren, sauberen
Korridor in einem der Untergeschosse des Forschungsinstituts.
Gerade passierten sie dicke Panzerglasw?nde, die an der einen Seite zu
einem Aquarium, an der anderen Seite zu einer Art Terrarium geh?rten.
Trotz dem diese beiden leer waren, zeigten bereits Schilder an was
hier beherbergt werden sollte - oder konnte man sagen "wer"?
Zuvor hatten Clara und Joanna vor einer gro?en Anzahl solcher W?nde
gestanden, und wie in einem normalen Zoo die Lebewesen dahinter
betrachtet und bestaunt.
Joanna war begeistert. Es war aber auch unglaublich was es hier gab.
"Das ist so fantastisch, Mom! Meerjungfrauen, Zentauren, Engel, und
die ganzen anderen... Boah!" Ihr fehlten die Worte f?r die Wesen die
sie hier gesehen hatte. "Ich habe nie wirklich geglaubt dass es sie
gibt, und hier sind sie! Und lebendig! K?nnen wir ?fter hierher
kommen? Bitte, Mom."
Kein Wunder, dass dieser Bereich geheim war: es waren richtige, echte
M?rchenkreaturen hier, so unvorstellbar es war. Das musste auch die
echte Joanna unbedingt sehen! Der Teenager konnte es nicht fassen,
dass ihre Zwillingsschwester dies hier freiwillig gegen ein Wildnis-
Wochenende mit Dad eingetauscht hatte. Und sollte heute Abend nicht
auch noch Lasershow im Schwimmbad sein?
Clara l?chelte. In diesem Alter waren sie noch so beeindruckbar.
Welche Diskussionen es doch nach wie vor gab, wenn sie Studenten hier
herunter f?hrte: Genversuche mit Menschen seien doch verboten, die
Wissenschaftler seien mehr Monster als ihre Kreaturen in den durch
Panzerglas abgegrenzten R?umen - nur durch die militant intoleranten
Gro?klappen war der Zoo so schnell angewachsen. Als Meerjungfrau oder
Schlangenwesen oder andere Art von Chim?re konnte niemand mehr an die
?ffentlichkeit treten und sich ?ber die ach so schlimmen Ausw?chse
hier beschweren. Und diejenigen mit einem phantasievollen, kindlichen
Gem?t beschwerten sich h?chstens ?ber zu engen Platz oder zu wenig
Sonnenlicht f?r die Gesch?pfe, aber fanden ihre Existenz gar nicht so
furchtbar.
"SICHER", ANTWORTETE SIE DAHER IHRER TOCHTER. "WENN DU WILLST, WERDE
ICH DIR EINEN BESUCHER-AUSWEIS BESORGEN."
Als sie wieder einmal an einer der T?ren vorbei kamen, die links und
rechts dieser Panzerglasw?nde waren, salutierte ein weiterer Security-
Mann, als er Clara erkannte.
Joanna wollte noch um einen Besucherausweis f?r John bitten, also dass
beide Zwillinge einen bekamen, aber wurde von zwei Security-Leuten
abgelenkt, die einen offensichtlich bet?ubten, gefl?gelten Mann mit
M?he in einen Seitenkorridor brachten, halb tragend und halb hinter
sich her schleifend.
"OB SIE JETZT ZUR?CK SIND, UND UNS KRIEGEN WOLLEN?" FRAGTE JOHN
PANISCH ALS SCHRITTE IM GE?ST DER GEF?LLTEN B?UME UM SIE HERUM ZU
H?REN WAREN.
Es war eindeutig nicht nur die K?hle des Herbsttages, die er jetzt
bewusst durch seine nasse Kleidung wahrnahm, die seine Stimme zittern
lie?.
Er trat hinter seinen Vater.
Dann h?rten sie eine bekannte m?nnliche Stimme aus dem schattigen
Holz: "Dem Himmel sei dank, Mike, bin ich froh, dass es dir gut geht!"
Es war Bill, ein grauhaariger langj?hriger Freund der Familie und Ex-
Milit?r, der aus dem Schatten hervortrat. "Du kannst keine Minute
allein gelassen werden, oder? In was f?r ?rger bist du diesmal hinein
geraten?"
John fiel nicht nur ein Stein, sondern ein ganzes Gebirge vom Herzen.
Er rief erleichtert aus: "Onkel Bill! Du hast uns fast zu Tode
erschreckt!"
N?her kommend, antwortete Bill: "Das war nicht so schwer, Sohn, wenn
man bedenkt was hier los war."
Mike konnte seine Erleichterung ebenfalls nicht verbergen. "Hey Bill,
bist du hierher geflogen? Ich habe dich gerade vor ein paar Minuten
angerufen."
Vor ein paar Minuten? Bill musste grinsen. Er war schon besorgt
gewesen, weil ihr unfreiwilliger Tauchgang ziemlich lange gedauert
hatte, dann das Schwimmen zum Ufer - der Anruf war l?nger als nur "ein
paar Minuten" her. Da mit starker Unterk?hlung zu rechnen war, kam
bereits ein Boot mit warmen Decken her.
Aber er wollte nicht durch seine eigene Besorgtheit die Lage ernster
erscheinen lassen als sie wom?glich war, also fiel er in seinen
"Palaver-T